Space-Walking

Leseprobe aus dem Buch Planetengefluester

Irgendwann, irgendwo in den endlosen Weiten des Planetensystems treffen sich  Mars und der natürliche Trabant der Erde, allen bekannt als Mond, zu einer wahrhaft bahnbrechenden Konjunktion.

In seiner typischen Art kommt Mars sehr rasch und zielgerichtet auf den Punkt. „Hallo Mond! Schon klar, du darfst eigentlich nicht mit mir reden, aber wie geht es denn deinem Mutterplaneten?“, eröffnet er das Gespräch. Ohne viel herumzureden, fährt er fort: „Ich kann die Erde leider schon lange nicht mehr verstehen, weil sie so murmelt. Mit anderen Planeten redet sie gar nicht mehr. Was ist los mit ihr?“

Der Mond ist überrascht, spricht ihn doch schon der zweite Planet innerhalb kurzer Zeit an. „Hat jemand die interplanetaren Regeln geändert? Das kann kein Zufall sein!“, denkt er. Aber ihm ist der coole Planet irgendwie sympathisch. Ganz anders als die glühende Venus, die ihn auch schon angesprochen hat.

„Kennst du das Venus-Syndrom“, fragt der Mond zögernd und mit flüsternder Stimme.

„Klar“, erwidert Mars und fragt, „woher kennst du es denn?“

„Meine Mutter glaubt, sich damit angesteckt zu haben“, verrät der Mond noch leiserer als zuvor.

„Aber damit kann man sich gar nicht anstecken“, erwidert Mars verwundert.

„Keine Ahnung, Mutter hat mich jedenfalls vor Venus gewarnt“, schildert Mond emotionslos, als wäre er ein lustloser Teenager.

Mit der lapidaren Antwort „Verstehe!“ fördert Mars den Aufbau einer gemeinsamen Gesprächsbasis.

Er muss sich jedoch beherrschen, würde er doch am liebsten sofort erklären, wie das Venus-Syndrom zu verstehen sei und wie es zur scheinbar irreführenden Namensgebung kam. Mars will aber das gerade zögerlich in Gang gekommene Gespräch nicht schon im Keim ersticken. Er ist sich seiner belehrenden Art, die nicht immer gut ankommt, sehr wohl bewusst.

„Wir dachten, deine Mutter steht vielleicht wieder kurz vor einem Polsprung. Da redet sie manchmal auch wirres Zeug oder gar nicht mit uns umliegenden Planeten“, äußert Mars seine Sorge.

„Nein, kein Polsprung, sie trägt neuerdings eine Maske. Deshalb könnt ihr sie wahrscheinlich so schlecht verstehen“, erzählt der Mond mit sehr leiser Stimme.

„Warum flüsterst du denn so?“, will Mars wissen.

„Na hallo? Ich verrate dir hier gerade intime Geheimnisse meines Mutterplaneten, die ich dir eigentlich gar nicht verraten darf“, mokiert sich der Mond etwas lauter. „Du kennst doch die Regel, dass ich als Trabant mit keinem fremden Planeten reden soll!“, ergänzt er schon wieder fast unhörbar.

„Okay, schon gut. Aber das Venus-Syndrom bildet sich deine Mutter nur ein“, stellt Mars mittlerweile ebenfalls flüsternd klar.

„Das denke ich auch, aber das kann ich ihr doch nicht einfach so sagen“, antwortet der Mond.

„Verstehe!“, sagt Mars, der den Vorteil kurzer Antworten aus Gesprächen mit seinen beiden Monden, Phobos und Deimos, genau kennt. Das verschafft Zeit, um nachzudenken.

Nach einer kurzen Pause fragt Mars mit leiser Stimme: „Über welche Symptome klagt deine Mutter eigentlich?“

„Puh“, stöhnt der Mond, „am Anfang erzählte sie von einem Kribbeln auf ihrer Oberfläche, ganz wie ein lästiger Juckreiz. Dann war lange nichts Besonderes. In der nächsten Phase berichtete sie ständig von offenen Wunden in der Erdkruste. Das Jucken dürfte sich dann zu einem permanenten Gefühl des Kitzelns entwickelt haben. Zuletzt sprach sie von unnatürlichen Veränderungen in ihrer Atmosphäre. Das Klima würde sich viel zu schnell erwärmen, als hätte sie Fieber“, zählt Mond die ihm bekannten Symptome der Erde noch immer flüsternd auf.

„Und warum trägt die Erde eine Maske?“, will Mars noch schnell wissen, bevor die Konjunktion der beiden zu Ende geht.

„Keine Ahnung, sie kommt fast nicht mehr aus sich heraus. Als ob sie jemand eingesperrt und ihr eine Maskenpflicht verordnet hätte, wenn sie jemanden anderen trifft“, spekuliert Mond

„Verstehe“, murmelt Mars.

„Das verstehst du?“ fragt der Mond in einem aufgeregten Flüsterton nach.

„Na ja, das sagt man so“, versucht Mars ihn zu beruhigen. „Ich werde mich jedenfalls mit den anderen Nachbarn beraten und mich erkundigen, was sie zu den Symptomen deines Mutterplaneten meinen. Mit viel Glück treffe ich auf meiner Bahn noch einen Eisriesen, bevor wir uns das nächste Mal treffen. Die bringen immer interessante Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrem Planetenleben mit“, schlägt Mars hastig vor.

„Bloß nicht!“, fleht Mond den sich entfernenden Mars an. „Ich habe meiner Mutter versprochen, bestimmt nichts von ihrer Krankheit zu erzählen. Außerdem will ich nicht als Whistleblower im Sonnensystem berühmt werden. Bitte nicht!“, ruft Mond dem Mars noch einmal laut hinterher.

Aber Mars kann diesen Apell nicht mehr hören, weil er sich auf seiner Bahn in Richtung Jupiter schon zu weit vom Mond entfernt hat. Er findet, diese Konjunktion mit dem Erdmond ist sehr gut verlaufen, hat er doch endlich konkrete Hinweise bekommen, wie es der Erde wirklich geht. Mars kann es gar nicht erwarten, seine Neuigkeiten beim nächsten Nachbarschaftstreffen mit Venus zu besprechen. Zuvor beschert ihm seine Umlaufbahn aber eine Konjunktion mit seinem anderen Nachbarn in der Planetenreihe.